Kroatien – Geschichten vom Meer und den Bergen

Liebe Oma,
die Zeit mit meiner Freundin verging wie im Flug. Wir hatten mitten im Herz von Rijeka eine kleine Wohnung gemietet, der perfekte Ausgangspunkt, um eine kroatische Stadt mal näher kennenzulernen. Während an den ersten zwei Tagen am Wochenende kaum was los war und ich fast schon enttäuscht von Europas Kulturhauptstadt 2020 war, pulsierte ab Montag auf einmal das Leben in den Straßen, Restaurants und Cafés. Auch wenn wir anfangs fanden, dass es der Stadt mit dem größten Hafen Kroatiens definitiv an einem Strand in Innenstadtnähe fehlt, entdeckten wir jeden Tag neue Locations, wie den Markt mit großer Fischmarkthalle und Blumenhändlern unter freiem Himmel, einer Opernhalle, deren Fassade schwer nach Ostblockarchitektur aussieht, ein hippes Café direkt auf dem Pier und weitere in verwinkelten Gässchen in der Stadt, schmucke Restaurants an der Hafenpromenade und vieles mehr.
Doch jetzt heißt es Abschied nehmen von Rijeka und auch von Daria, die wieder nach Hause fährt. Dafür ist mein Bruder Jonny gekommen, der mich für eine Woche durch Kroatien begleiten will. So fällt der Abschied zum Glück nicht ganz so schwer. Wir radeln los in Richtung Süden. Nach der Woche Sonnenschein in Rijeka ist nun leider eine Woche Wolken und Regen angesagt. Wir fahren weg vom Meer hoch in das Küstengebirge. Noch wechseln sich Sonne und Wolken ab und nach einem langen Anstieg fasziniert die Karstlandschaft der Berge sowohl mit eigener Schönheit als auch gelegentlichen Tiefblicken auf die Küste und die vorgelagerten Inseln. Wir zweigen ab auf einen Singletrail und sausen durch den Wald. Dann kommen wir auf eine Schotterpiste auf der das Fahren anstrengender und tückischer wird. Nach einigen Kilometern werden wir mit einem grandiosen Ausblick auf den See und das Tal bei Tribalj und der Küstenstadt Crikvenica belohnt.
Eigentlich wollten wir fast die gesamte Küste bis Sibenik hier oben auf diesen kleinen Wegen verbringen. Dann aber müssen wir in einen Ort, um Nahrungsmittel aufzustocken. Dabei gefällt es uns an der Küste so gut, dass wir jetzt doch beschließen für einen Tag hier unten zu bleiben. In Kurven windet sich die Straße der Küstenlienie entlang und vielerorts haben wir das türkisfarbene Meer nur ein paar Meter neben uns. Es ist nicht verwunderlich, dass die Straße mit zu Europas schönsten Küstenstraßen gekürt worden ist. In Senj kaufen wir ein. Dann bläst uns die Bora mächtig um die Ohren. Der hier im Winter oft auftretende Fallwind aus den Bergen ist zeitweise so stark, dass es Berghänge gibt, die komplett vegetationslos sind, da die starken Böen das Ansiedeln von Pflanzen weitgehend verhindern. Heute kommt der Wind tendenziell von schräg hinten in Fahrtrichtung, sodass wir sogar an steilen Bergen Hochschalten können, wenn gerade eine Böe kommt. Wenn dann die Straße aber wieder eine Kurve macht, haben wir Mühe, nicht vom Rad gefegt zu werden, und müssen sogar teilweise bergab ordentlich strampeln, um nicht stehen zu bleiben. Dazu fängt es an zu regnen. An diesem Abend gestaltet sich die Suche nach einem Schlafplatz schwierig. Dass Kroatien seine hohen Strafen auf Wildcampen im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern durchsetzt, macht die Sache in diesem Land sowieso nicht ganz einfach. Dazu kommt der scharfkantige Steinboden und die struppige und dornige Vegetation. Wir finden genau einen möglichen Platz. Er ist weder eben, noch groß genug und leider befindet er sich mitten in einer Windschneise, durch die die Bora ungebremst den Berg herunterweht. Wir hieven unsere Räder über Felsen und durch das dichte Gestrüpp, befreien den Platz von scharfkantigen Steinen und spannen das Zelt so gut es geht ab. Der kleine Platz zwingt uns dazu, dass wir es mit der Breitseite in den Wind aufstellen. Das Außenzelt tanzt wie wild im Wind und beruhigt sich erst ein wenig, als ich die windzugewandte Seite noch zusätzlich mit zusammengeknüpften Spannriemen absichere. In dieser Nacht fegt uns die Bora fast vom Berg. Einmal muss ich raus in den Regen und das Zelt nachspannen, da ein Hering rausgerissen wurde und das Außenzelt augeblicklich mit höllischem Lärm gegen das Innenzelt schlägt. Trotzdem hält das Zelt besser als gedacht und wir bekommen wenigstens ein paar Stunden Schlaf.
Wir beschließen der Bora zu entfliehen, indem wir dorthin gehen, wo sie herkommt: wieder zurück in die Berge. Wir haben über 1500 hm Aufstieg vor uns, um in den Velebit Nationalpark zu kommen. Sicherheitshalber sage ich Jonny nichts davon. In dieser Nacht schlafen wir windgeschützt in einer Bushaltestelle, einfache Betonklötze, die es in Kroation überall gibt, wo eine kleine Straße abzweigt und zu einem Dorf in der Nähe führt. Nachts um 3 Uhr sind wir beide hellwach. Wir beschließen aufzustehen und im Dunkeln loszugehen. Bei Tagesanbruch passieren wir die Grenze zum Nationalpark, wo erster Schnee liegt. Ein paar Meter höher wird die Straße zum unbefestigten Weg und ist komplett zugeschneit. Fahren ist unmöglich und so schieben wir unsere Räder stundenlang durch stellenweise 20 cm tiefen Schnee bis zu dem Pass auf 1500 m über NN. Wären da nicht Fahrspuren eines Autos auf dem Weg, wäre selbst Schieben unmöglich gewesen. Am höchsten Punkt überrascht uns eine Pferdeherde im Schnee, dann geht es bergab, und wie schon befürchtet, müssen wir auch das schieben. Erst nach einer Weile glücken erste Fahrversuche, die hohe Konzentration erfordern, um das schwer beladene Fahrrad auf Spur zu halten. Dann endlich erreichen wir die Straße. Es liegt immer noch Schnee, wir haben 50 m Sicht, und es regnet. Die weitere Route würde über einen Trail weiter durch den Velebit führen, aber da da garantiert kein Auto vor uns war, entschließen wir uns die in den letzten zwei Tagen hart erkämpften Höhenmeter aufzugeben und wieder an die Küste zu fahren. Dazu müssen wir über einen weiteren Pass von über 1400 m über NN. Auf der unbefestigten Passstraße liegt zwar auch etwas Schnee, sie lässt sich aber leichter fahren als der Pass heute Morgen und führt durch atemberaubende Landschaft. Die Wälder mit ihren verschnörkelten Bäumen verschwinden in einem Schleier aus Nebel und wir stehen staunend am Rand einer Polje, als von der anderen Seite Nebelschwaden über die Felsschulter in die Grassenke drücken. Diese Poljen sind faszinierend. Hier hat Regenwasser beim Versickern großflächig den Kalkstein gelöst und es bleibt ein großer Kessel bzw. eine Senke mit gutem Boden zurück. Kleinere Poljen wie diese werden oft als Weiden verwendet und haben durch fehlende Fließgewässer oft eine Felsschulter rings um die gesamte Grünfläche. Ein Talausgang fehlt, da das ganze Wasser unterirdisch in Höhlensystemen abgeführt wird. Poljen können aber auch mehrere hundert Quadratkilometer groß sein, was es dann schwer macht, sie als solche zu erkennen (wie z.B die Turopolje und Lonjeskoepolje südostlich von Zagreb). In diese Poljen haben dann auch Oberflächengewässer ihren Weg gefunden. Übersetzt heißt Polje Feld, und da sie im steinigen Kroatien ideale Siedlungsbedingungen bieten, bilden sich in ihnen häufig Orte, was sich dann oft in den Ortsnamen niederschlägt (z.B. Vrpolje). Wir finden einen Singletrail Richtung Küste. Wir blinzeln in die untergehende Sonne, die über die Inseln im Meer zu uns herüberscheint, als wir den Trail entlangflitzen. Nachdem Jonny einen ordentlichen Sturz hinlegt, und wir bemerken, dass wir beide unsere Schlafsackpacksäcke an den scharfkantigen Felsen aufgeschlitzt haben, beschließen wir bei der nächsten Möglichkeit auf der kleinen Asphaltstraße zu bleiben. Eine gute Wahl, denn hier ist der Ausblick noch grandioser und wir genießen eine rasante Abfahrt durch einen in unzähligen Gelb- und Rottönen leuchtenden Herbstwald.
Am nächsten Tag geht es genauso schön wie schon drei Tage davor in zahlreichen Kurven die Küste entlang. Wir treten ordentlich in die Pedale, denn der ständige Wechsel zwischen Bergen und Küste hat Zeit gekostet und Jonny muss in drei Tagen in Sibenik auf den Bus. Dann macht sich aber leider mein Knie bemerkbar. Das Kämpfen durch den Schnee gestern und die lange Strecke heute haben ihre Spuren hinterlassen. Deshalb fahre ich am Tag darauf Richtung Krk Nationalpark nur im Windschatten. Wir schaffen es am Abend gerade noch rechtzeitig vor Torschluss in den Park und haben das Glück, die Wasserfälle dank des starken Niederschlags der letzten Tage mit unüblich viel Wasser zu erleben. Trotzdem ist es glasklar und umspült weiß schäumend die Baumstämme, die vielerorts komplett im Wasser stehen. Jetzt hätten wir beide Lust, den Winnetou-Film zu schauen, der hier gedreht wurde. Noch mehr Indianerfeeling kommt auf, als wir uns abends mit unserem Zelt in die nahen Büsche schlagen. Am nächsten Morgen radeln wir nach Sibenik. Die lediglich 12 km sind eine Qual für mein Knie. Ich werde einen Pausentag brauchen. Jetzt nutzen wir aber erstmal Jonnys letzte Stunden für einen Altstadtspaziergang und eine Fischplatte für uns zwei, bevor wir dann das Fahrrad für den Transport im Bus zerlegen.
Liebe Grüße aus Sibenik
Dein Thomas